Wandern von Hütte zu Hütte
Ganz weit weg vom Ballermann
© Gunnar Knechtel
Die Bucht von Deià
sieht nicht nur hinreißend aus. Man kann hier auch prima baden
Von
Stéphanie Souron
Mallorca ist bekannt für Sonne, Strand und Halligalli. Auf dem neuen Höhenwanderweg zeigt sich die Insel
von ihrer stillen Seite.
„Zum Wandern nach Malle?“, fragt die Freundin, kneift die Augen
zusammen und guckt zweifelnd. Die Freundin ist eine treue Anhängerin
animationsgesteuerter Flipflop-Ferien und die Vorstellung über die Gipfel
Mallorcas zu wandern, von Hütte zu Hütte, ohne All-inclusive-Büfett, kommt
ihrer Vorstellung von Schrecklichkeit offenbar ziemlich nah. Sie sagt:
„Mallorca ist zum Baden da, nicht zum Wandern.“
Dass Mallorca viele schöne Buchten hat, ist
allgemein bekannt. Und auch das Hinterland, jaja, hat seine Anhänger gefunden.
Doch das große Theater spielt sich abseits der ausgetrampelten Touristenpfade
ab. Zum Beispiel auf Pep Leivas Terrasse. Wenn die Sonne hinter den Bergen
verschwindet, wird sie zur Bühne. Die acht Zuschauer rücken auf den Sitzbänken
zusammen, die nackten Füße weit von sich gestreckt. Ihre klobigen Wanderschuhe
haben sie ausgezogen, als sie hier angekommen sind, die Socken flattern auf der
Wäscheleine. In der Ferne blöken ein paar Schafe, und vor ihnen wird das große
Farbenspiel gegeben: Das satte Grün der Bergrücken geht langsam über in ein
dunkles Türkis, später in Nachtblau, bis die Tausender um die Terrasse nur noch
als schwarze Silhouetten in den Himmel stechen. Dann fällt der Vorhang
endgültig, die Dunkelheit legt sich über die Terrasse. Leiva streckt den Kopf
aus seiner Küche und ruft die Wanderer zum Abendessen. Als der erste Hunger gestillt
ist und der Rotwein in den Gläsern schaukelt, sagt er nicht ohne Stolz:
„Selbst die meisten Spanier wissen nicht, was für schöne Sonnenuntergänge
wir hier zu bieten haben.“
Sonnenuntergang als Exklusiv-Vorstellung
Leiva, 36, warme Augen, fester Händedruck, bewirtschaftet
eine kleine Hütte in der Serra de Tramuntana. 500 Höhenmeter trennen ihn vom
Meer, und bis zum Halligalli des Ballermanns sind es mehr als eine Autostunde.
Doch hierher führt nicht einmal eine öffentliche Straße, und so ist der Sonnenuntergang
eine Exklusiv- Vorstellung für alle, die den Weg zum Tossals Verds aus eigener
Kraft geschafft haben.
Die meisten von ihnen sind über den GR 221 gekommen, den die Mallorquiner
„Ruta de pedra en sec“, Trockensteinroute, nennen. Der Fernwanderweg
führt von Deià über Port de Sóller hinauf zu dieser Hütte und endet in
Pollença. Zuerst schlängelt er sich an der Küste entlang, später windet er sich
durch die stattliche Bergwelt der Mittelmeerinsel. Am Ende jeder Tagesetappe
wartet eine Steinhütte mit Betten im Doppelstock. Abends trifft man sich dort
an langen Holztischen, serviert wird mallorquinische Hausmannskost: mit
Hackfleisch gefüllte Auberginen, Fischeintopf mit Kartoffeln und zum Nachtisch
saftige Melone oder katalanische Creme. Nachschlag und Rotwein sind gratis.
„Das Wichtigste für die Wanderer sind große Portionen“, sagt Leiva.
„Sie haben ja den ganzen Tag Sport gemacht.“
Leiva neigt zu Übertreibungen: Zwei Kilometer
nach dem Start in Deià endete der Sport an einer kleinen Bucht, von der man so
leicht nicht wieder wegkommt. Denn nach dem Sprung ins Meer lockt eine Bar mit
spanischer Tortilla. Die ist so perfekt gebraten, wie man sie auf dem
heimischen Herd nie hinkriegt: mit knuspriger Kruste und im Herzen fast
flüssig.
Ungewöhnliche Aussichten
Was dann kommt, ist genau richtig, um den zufriedenen Bauch
nicht übermäßig zu strapazieren. Ein paar Steigungen, ein paar Abhänge und
dazwischen lange Geraden. Man schwitzt gemäßigt und freut sich über
ungewöhnliche Aussichten: Links tanzen weiße Schaumkronen auf dem Meer, rechts
säumen kilometerlange Trockensteinmauern die Hügel. Und gerade als man darüber
nachdenkt, wo man als Nächstes rasten könnte, steht man bei Antonia Coll vor
der Tür.
Coll ist eine kleine, stolze Frau von 85 Jahren. Sie lebt in einer alten
Ölmühle am GR 221 und betreibt dort Massentourismus auf engstem Raum. In ihrem
Wohnzimmer drängeln sich etwa 60 nackte Waden zusammen, die Wanderer aus
England und Deutschland bewundern den 700 Jahre alten Steinfußboden. „Oh
dear, it’s amazing“, „Schatz, schau mal wie schön“, rufen sie.
Dazu nippen sie an einem Glas frisch gepresstem Orangensaft und vertilgen Colls
Kuchen. Leider verstehen weder Briten noch Deutsche Colls spanische Erklärungen
zur Herstellung von Olivenöl.
Denn bevor Coll Orangen für Touristen auspresste, hat ihre Familie jahrelang
die Früchte der 1000 Olivenbäume auf dem Grundstück ausgepresst, um daraus Öl
herzustellen. Der dicke Mahlstein und die riesige Auffangrinne für das fertige
Öl sind Teil von Colls Eingangshalle. Weil die Ölherstellung nicht mehr genug
Geld abwarf, eröffnete sie vor 40 Jahren ein Restaurant in Palma. Dort bekochte
sie Touristen und Einheimische, und eigentlich wollte sie nie mehr zurück in
die Berge. Doch mit der Rente kam auch die Sehnsucht nach ihren Olivenbäumen,
und heute sagt Coll: „Nirgendwo ist es schöner als in meinem Garten. Hier
habe ich alles, was ich brauche.“ Sogar einen winzigen Pool, kaum größer
als eine Badewanne.
100.000 Orangen-Bäume
Manche der Wanderer trifft man später in Sóller wieder. Das
Städtchen ist so etwas wie das Mekka von Mallorcas Wanderwelt. Rund um die
„Plaça Constitució“ werden am Nachmittag die Stühle in den Cafés
knapp, die Wanderer drapieren ihre Rucksäcke um die Tische herum und
fachsimpeln im Schatten der Bäume über Entfernungen und Steigungen. Auf den
Tischen stehen große Gläser mit „Orange Sóller“, frisch gepresstem
Saft und einer Kugel Orangeneis mit Sahne. Alle paar Minuten zuckelt die
Straßenbahn mit lautem Gebimmel über den Platz. Sie pendelt zwischen Sóller und
dem Hafen, und somit ist das letzte Stück der Etappe an diesem Tag
Erholungsphase. Man sitzt in offenen Waggons auf altmodischen Holzsitzen, der
Schaffner plauscht mit den Einheimischen. Wahrscheinlich lästern sie ein
bisschen über die wanderwütigen Deutschen mit ihren dicken Rucksäcken, aber sie
lächeln einen dabei sehr freundlich an. Draußen leuchten die Orangen. 100.000
Bäume stehen angeblich noch in dem Tal. Bevor Anfang des vorigen Jahrhunderts
die Bahnlinie nach Palma eröffnet wurde, profitierten vor allem die Franzosen
von den süßen Früchten. Von Port de Sóller aus wurden die Orangen nach
Marseille und Toulon verschifft – was wesentlich einfacher war, als sie über
die schmalen Pfade der Serra de Tramuntana bis nach Palma zu schleppen.
Wer den GR 221 als Gesamtkunstwerk erlaufen will, muss wie damals zu Fuß durch
die Schlucht von „Es Barranc“. Bis zum „Coll de l’Ofre“
sind es 800 Höhenmeter, die Wegschilder verweigern zum ersten Mal jegliche
Angaben zur Marschzeit. Scheinbar endlos winden sich die Steinstufen des
ehemaligen Karrenweges in Spitzkehren nach oben. Aber wenn man sich den Berg
hochgeschnauft hat, an knochigen Olivenbäumen und frisch geschorenen Schafen
vorbei, wird man oben von einem Panorama empfangen, das die Alpen alt aussehen
lässt: Rund um das Gipfelkreuz stehen zehn stolze Riesen, und in der Ferne,
zwischen zwei Bergen, lugt noch ein Zipfel vom Mittelmeer hervor.
Das ist dann wieder so ein Moment, in dem man an die Freundin denkt. Die würde
sich höchstwahrscheinlich beschweren, dass gerade Zeit für Happy Hour ist und
weit und breit kein Jürgen Drews zu hören. Doch Malle für alle ist hier oben
weit weg, und statt Polonaise um den Pool gestaltet die Natur das Showprogramm:
Am Cúber-Stausee haben sich ein paar stille Vogelbeobachter in Position
gebracht. Stundenlang suchen sie den Himmel nach Zwergadlern und Mönchsgeiern
ab. Und immer wenn ein Exemplar über die Gipfel schwebt, drehen sich ihre
Fernrohre nach den Vögeln wie in einer einstudierten Choreografie.
Wanderfeeling in der Hütte
Je weiter man sich vom Meer entfernt, desto seltener kreuzt
man den Weg von Leichtrucksacktouristen. In der Hütte am Tossals Verds lästern
die echten Wandervögel gern über Tagesausflügler, die mit Bussen an die Strecke
gekarrt werden und abends wieder ins Hotel fahren. „Erst mit einer
Hüttenübernachtung kriegst du das richtige Wanderfeeling“, sagt Henrik
Lakner, 57. Im Alltag ist der Däne eine Art Ausbilder für Freiluftsport-Freaks,
in den Ferien schultert er gern seinen Rucksack und verdrückt sich mit seiner
Frau Kirsten und einem befreundeten Ehepaar in die Berge. Er ist schon mit dem
Zelt durch Norwegen gestiefelt und durch Grönland. Auf Mallorca wandert er zum
ersten Mal. Für erfahrene Geher sei der GR 221 keine allzu große
Herausforderung, sagt er, aber klimatisch seien die Inselberge auf jeden Fall
eine Reise wert. „Perfekte Temperaturen: warm, aber nicht heiß. Und die
Hütten sind echt schön.“ Leiva, der sich mit einem Glas Rotwein
dazugesetzt hat, lächelt zufrieden. Er sagt, die Mallorquiner müssen endlich
kapieren, dass auch die Berge eine Reise wert sind. Er hofft, dass in den
kommenden Jahren noch mehr Wege erschlossen und weitere Hütten eröffnet werden.
Der Abstieg vom „Puig de Massanella“ am dritten Tag ist ein
ungemütlicher Gang durch den Nebel. Feuchte Schwaden kriechen über die
Bergwiesen, und aus dem grau-braunen Einheitsbrei taucht irgendwann das Kloster
Lluc auf. Die Mallorquiner verehren dort die schwarze Madonna, Besucher können
in den Kemenaten übernachten und im Klosterhof Torte mit Sahne bestellen. Zur
Happy Hour um 17 Uhr wird ein Orgelkonzert gegeben. Erst auf der Terrasse des
„Refugi Son Amer“ fühlt man sich wieder sicher vor diesem
Rummelplatz. Nach und nach trudeln dort auch die anderen Hütten-Bekanntschaften
der vergangenen Tage ein. Alle warten auf das Sonnenuntergangstheater. Und dann reißt tatsächlich der Himmel auf und gibt die Bühne frei fürs Farbenspiel. Fast so, als säße hinter dem großen Vorhang ein Animateur mit dem richtigen Gespür für eine gute Pointe.(..)
Die Wanderreise wurde organisiert vom Wanderreisen Team von Spanisch und Wandern in Sa Rapita, Mallorca, www.spanisch-und-wandern.com.
Dieser hier abgedruckte Textauszug wurde am 2. Juli 2009 im ‚Stern‘ unter der Rubrik „Reisen“ erstmals veröffentlicht .
Mehr zum Thema: Wanderhütten Mallorca
https://www.wandern-mallorca.eu/reisebericht-wandern-mallorca-mai-2017/
Hallo Anna,
wir benutzen und brauchen keine Reiseführer, es reichen ganz normale Wanderkarten, denn wir sind vor Ort auf Mallorca und kennen die Wanderwege ganz genau, wir gehen fast jeden Tag wandern,
den Kommentar mussten wir leider etwas kürzen, wegen der Werbefreiheit.
Grüsse, Joan
Hallo,
die Berichte hören sich echt super an und wecken absolutes Interesse bei mir als Wander-Fan. 🙂
Mich würde interessieren welche Reiseführer ihr benutzt habt!?
über eine antwort würde ich mich sehr freuen, lg Anna
Vom 03.-10.Juni 2009 waren wir – d. h. Papa, Mama und unsere beiden Jungs im Alter von 13 und 15 Jahren – wandern auf Mallorca. Von Hütte zu Hütte – wir wußten nicht was uns erwartet, aber es war einfach super! Sowohl die Organisation der gesamten Tour als auch die Hütten; diese sind fast neu gebaut, hell, großzügig, herrlich zum Draußensitzen.
Wir wanderten nicht in einer Gruppe, sondern nur als Familie. Am Flughafen bekamen wir alle Informationen – sehr ausführlich, schön gedruckt, mit Plänen und Karten. Wir waren jeweils 2 Nächte in der gebuchten Unterkunft (außer Tossals Verds), was sich für uns als sehr vorteilhaft herausstellte: erst mal ankommen, eingewöhnen und einen Tag Zeit haben, die Gegend zu erkunden.
In Deia empfehlen wir die Bucht Cala Deia und hier einfach weiter auf dem tollen Küstenweg. Auch für Jugendliche abenteuerlich und landschaftlich großartig.
Die Wanderung von Deia nach Porto Soller ist nicht weit und eine lange Rast beim Refugi Muleta unbedingt angebracht, schon wegen der Lage und Aussicht.
Da unsere Jungs keine Meerbader sind, war der Aufenthalt im Hotel mit Pool in Porto Soller natürlich sehr willkommen.
Die Wegbeschreibung durch die Orangenroute war etwas verwirrend und ist vielleicht auch für Jugendliche nicht so der Hit.
Dann der Aufbruch durch die Tramuntana: empfehlenswert ein Taxi zum Ausgangspunkt nach Biniaraix. Der Weg ist gigantisch! Mal fühlt man sich wie im Dschungel, dann wieder geht man auf den alten Pflastersteinen des Pilgerweges. Überall versteckt die Fincas, Natur pur, und alles sehr gut beschildert und gepflegt. Ziel dieses Tages Tossals Verds. Am nächsten Tag Aufbruch zum Kloster Lluc / Refugi Son Amer. Mir persönlich hat dieser Teil des Weges am besten gefallen: wie im Hochgebirge, mit Fels und herrlicher Natur.
Die Hütten waren nicht überfüllt – zweimal hatten wir als Familie sogar unser eigenes Zimmer. Das Essen war gut. Nur das ungesalzene Weißbrot ist gewöhnungsbedürftig sowie die geölten Brote zum Lunchpaket. Wir haben dann einfach gebeten, die Brote nicht zu ölen. Also mit Englisch kommt man gut zurecht, vorallem bei Jüngeren.
Von Lluc ging es zurück nach Palma mit dem Bus und Zug, was prima geklappt hat. Die Organisatorin Frau Troja war stets telefonisch zu erreichen und erkundigte sich abends beim Hüttenwirt, ob wir auch angekommen sind.
Es gibt bestimmt noch viele tolle Ecken auf Mallorca und vielleicht kommen wir ja bald wieder.
Angelika Beier